Interview W. Pachali & J. Mohr – Was bringen Noten im Job?

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden.
Neben dem Autor Wolfgang Pachali nimmt heute der EMC hoch 2 Partner Julian Mohr im Interview Stellung.

360-Grad-Beurteilung, Leistungsbewertung von Vorständen und Führungskräften – Was bringen Noten im Job?

Wolfgang
Aktuell ist in den Medien zu lesen, dass das SAP-Management die „Performance“ seiner Beschäftigten strenger bewerten möchte. Medienberichten zufolge sollen Leistungs-Gruppen gebildet werden: „Performer“, die auf höhere Boni hoffen können, „Achiever“, die die Erwartungen erfüllen sowie „Improver“, die sich verbessern müssen. Man darf gespannt sein.

Julian
Entscheidend ist doch vielmehr wer wird von wem wie „beurteilt“ und was ist das Ziel, das das Unternehmen mit der „Beurteilung“ erreichen will. Im Evolve-Management-Konzept ist Leistungsbewertung ein elementarer Bestandteil, denn das Kernziel lautet „das Unternehmen und sich selbst weiterentwickeln“. Ohne regelmäßige Bestimmung der persönlichen Ausgangssituation (wo bin ich gut, wo weniger; welche Stärken ordnet man mir zu, welche weniger, wo konnte ich mich verbessern, wo nicht) ist weder eine zielgerichtete unternehmerische noch eine persönliche Weiterentwicklung möglich.

Liegt Leistung immer an der Person?

Julian
Nein, natürlich nicht. Neben der Person sollten stets auch die Umfeldbedingungen mit einbezogen werden: Das Team, der Arbeitsplatz, die Stimmung im Unternehmen – aber auch die private Situation des zu Beurteilenden usw.

Wolfgang
Bewertungssysteme sind oft zu eng, um komplexen Arbeitssituationen gerecht zu werden. Unter welchem privaten und beruflichen Druck steht der Vorstand/die Führungskraft, steht die kurzfristige oder die langfristige Leistung im Fokus, welche Erwartung/Ziele hat der „Beurteilende“ und mit wem vergleicht der „Beurteilende“ den zu Beurteilenden. Gerade bei der Variante der 360 Grad Beurteilung, also der Beurteilung durch unterstellte oder gleichgestellte Mitarbeiter, ist sehr viel Fingerspitzengefühl in der Interpretation gefordert.

Unterstützen Sie die Einführung eines „Vorstands-/Führungskräfte-Beurteilungssystems?

Wolfgang
Ja, und zwar uneingeschränkt. Vorstände und Führungskräfte können sich nur weiterentwickeln, nur verbessern, wenn sie Feedback erhalten, wenn sie die Chance erhalten, das Fremdbild mit ihrem Selbstbild zu vergleichen. Aus unserer Sicht sollten aber die unterschiedlichen Leistungs-Zeiträume umfassend Berücksichtigung finden: Der kurze Zeitraum (3-6 Monate) wie der längere Zeitraum (2-3 Jahre). Wer im kurzen Zeitraum als Low-Performer eingeordnet wird, kann im längeren Zeitraum sehr wohl ein Performer sein, z.B. weil die aktuelle Leistungsfähigkeit durch private Probleme beeinträchtigt wird.

Julian
Extrem zurückhaltend sind wir, wenn „Beurteilung“ ihren Abschluss in einer „Benotung“ findet. „Noten“ helfen zwar ein Gefühl für eine Situation zu bekommen und diese zu quantifizieren. Letztlich ist die „Note“ aus unserer Sicht jedoch sekundär, viel wichtiger sind die konkreten Beschreibungen was den Performer ausgezeichnet hat bzw. welches Verhalten oder welche Einstellung dem Low-Performer zugeordnet wurde. Akzeptanz ist deutlich leichter zu erzielen, wenn über ganz konkrete Beispiele gesprochen wird.

Ebenso kritisch sehen wir, wenn die „Benotung“ mit einer „Belohnung/Bestrafung“ verbunden wird. Die Bindung einer Leistungsprämie an eine Beurteilung verzerrt das Bild auf beiden Seiten, es erschwert das offene konstruktive Gespräch seitens des Beurteilers und es erschwert die Bereitschaft zur Selbstreflexion beim Beurteilten. Häufig wird vergessen, dass eine nicht erhaltene Belohnung als Bestrafung verstanden wird. Belohnung und Bestrafung muss nicht materiell sein, auch eine öffentliche oder öffentlich diskutierte Rankingliste bewirkt vergleichbares.

Lohnt sich ein offener Umgang mit Leistung/Minderleistung?

Wolfgang
Bei einer Bewertung handelt es sich zunächst einmal um einen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der Abgleich kann unangenehm erlebt werden: Es gibt Menschen, die ihre eigene Leistung grundsätzlich überschätzen, aber auch Menschen, die ihre eigene Leistung grundsätzlich unterbewerten.

Julian
Der Umgang mit subjektiven Bewertungs-Kriterien wie z.B. Leidenschaft, Disziplin, Einfühlungsvermögen ist sehr sensibel. Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, ab wann jemand leidenschaftlich, diszipliniert oder einfühlsam handelt. Auch sind die Situationen selten vergleichbar: Steht z.B. ein Team oder ein einzelner Mitarbeiter unter besonderem Druck gewinnt die zu beurteilende Team- und Konfliktfähigkeit eine ganz andere Bedeutung, als wenn ein Prozess in aller Ruhe vorangetrieben werden kann .Wenn gegen den Widerstand eines Teams oder eines Mitarbeiters ein Veränderungsprozess eingeleitet werden muss ist die Motivationsfähigkeit vollkommen anders gefordert, als wenn das Team grundsätzlich bereit ist den Weg mitzugehen. 

Performer haben keine Angst vor Bewertung – und die anderen?

Wolfgang
Wer gute Leistung bringt und davon überzeugt ist, dass andere es auch so sehen, hat vor einer Bewertung keine Angst. Gute Noten spornen Performer an, sie suchen und genießen das Rampenlicht – insbesondere, wenn „Benotung“ Öffentlichkeit erhält.  

Sorgen machen sich diejenigen, die ihre Leistung selbst als gut einstufen, aber befürchten, dass andere das anders sehen bzw. diejenigen, die ihre Leistung als unterdurchschnittlich einstufen und wissen, dass andere das auch so sehen. Schnell entsteht dann Angst und die mit Angst verbundenen Abwehr-Mechanismen werden aktiviert.

Julian
Angst ist kein guter Ratgeber – auch nicht für Vorstände- und Führungskräfte. Wer sich selbst eine unterdurchschnittliche Performance zuordnet oder erwartet von anderen als Low-Performer angesehen zu werden geht in „Beurteilungsgespräche“ angespannt, igelt sich ein oder reagiert angriffslustig. In solchen Situationen ist die Fähigkeit des Beurteilers zu einer konstruktiven Gesprächsführung besonders gefordert. Entscheidend ist, was der Beurteilte versteht, aufnimmt und akzeptiert. Letztlich entscheidend ist welche Weiterentwicklungsbereitschaft beim Beurteilten verinnerlicht werden konnte.

Stimmt das Vorurteil Männer überschätzen sich tendenziell?

Wolfgang
In den Medien sowie Manager- und Beraterkreisen wird regelmäßig auf das angebliche Phänomen aufmerksam gemacht, dass männliche Vorstände/Führungskräfte tendenziell ihre eigene Leistung eher überschätzen, während weibliche Vorstände/Führungskräfte sie tendenziell unterschätzen. Das Vorurteil bekommt immer wieder neue Nahrung, weil die Bereitschaft zur Selbstkritik und die Offenheit für Kritik bei Frauen meist deutlich ausgeprägter ist als bei Männern. Frauen gehen nach unseren Beobachtungen i.d.R. viel offener und konstruktiver mit Kritik um, sie hören zu, sie fragen nach – sie bemühen sich den Beurteiler zu verstehen.