Interview W. Pachali & P. Förster – Risiko-Inventur und Veränderungsbereitschaft

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden und Geschäftspartnern. Heute erneut dabei die Gründerin und Geschäftsführerin der Beratungsgesellschaft „Auf Sicht“ (Schulung und Beratung für Aufsichtsrecht in Banken – www.auf-sicht.de) Petra Förster

Risiko-Inventur und Veränderungsbereitschaft: Muss/Kann/Sollte eine „unzureichende Veränderungsbereitschaft“
bei der Risiko-Inventur bilanziert werden?

Petra
In Zeiten radikaler Veränderungen ist die Veränderungsbereitschaft zu einem entscheidenden Erfolgs- und Risikofaktor geworden. Wer sich nicht schnell oder nicht umfassend genug auf veränderte Situationen einstellt gefährdet nachhaltig seine Wettbewerbs- und Gewinnfähigkeit. Ein Beispiel: Erfolgreich zu agieren in einer zunehmend digitalen Welt setzt die Bereitschaft voraus in digitale Infrastruktur und in digitale Kompetenzen zu investieren. Fehlende Investitionsbereitschaft wird schnell zu einem Risiko-Faktor. Die MaRisk fordert eine umfassende Risiko-Inventur. Alle Risikoarten sollen erfasst, analysiert und bewertet werden. Dabei sind nicht nur materielle (z.B. Kreditausfälle) sondern auch immaterielle Risiken (z.B. Vertrauensverlust), nicht nur „erwarteten“, sondern auch „unerwarteten“ Risiken (OpRisk), zu berücksichtigen.

Wolfgang
Leider ist es in vielen Banken traurige Realität, dass veränderte Marktbedingungen erst Schmerzen bereiten müssen bis gehandelt wird. Zunächst wird gejammert und nach Schuldigen gesucht, erst danach entsteht die Bereitschaft zum konkreten Handeln. Veränderungen werden häufig erst dann eingeleitet, wenn der Handlungs- und Leidensdruck so groß ist, dass kein Weg mehr daran vorbeigeht. Notwendige Anpassungen werden dann zu schmerzhaften Anpassungen. Es wird schmerzhaft, da die Zeit zur Vorbereitung fehlt. Veränderungen werden z.B. von außen aufgezwungen und lösen damit regelmäßig Widerstand aus, welche die notwendige Änderung zusätzlich verzögern.

Petra
Widerstände, die dann insbesondere von dem mittleren Management, abgebaut werden müssen. Veränderungen werden von der obersten Heeresleitung angeordnet. Eine zweite Widerstandsfront entsteht: Widerstand gegen die Veränderung selbst, Widerstand gegen die Anordnung von Veränderungen. Und damit zwei verschiedene Risiko-Faktoren: Das Risiko notwendige Veränderungen nicht zu meistern und das Risiko einen Vertrauensschadens durch unangemessenes Führungsverhalten.

D.h. eigentlich müssten in der Risiko-Inventur nicht nur die unterlassenen oder zu spät eingeleiteten Veränderungen aufgeführt werden, sondern auch die Risiken, die sich aus dem Umgang mit Veränderungen ergeben?

Wolfgang
Sehr wichtig ist exakt diese Differenzierung: Risiken, die aus zu spät eingeleiteten bzw. unterlassenen Veränderungen, und Risiken, die sich aus dem Umgang mit notwendigen oder gewünschten Veränderungen ergeben.

Je präventiver mit Veränderungen umgegangen wird, desto geringer sind die Widerstände, desto mehr Zeit hat die Bank Widerstände abzubauen. Wenn die Mitarbeiter spüren, dass Veränderungen frühzeitig vorbereitet und freiwillig eingeleitet werden, sind erfahrungsgemäß die Widerstände deutlich geringer.

Petra
Veränderungen, die vom Management gewollt und nicht von außen aufgezwungen werden, erhalten eher den notwendigen Vertrauensvorschuss. Das Risiko die Veränderung nicht erfolgreich zu meistern ist deutlich geringer. Nebenbei bemerkt: Wir haben es hier mit einem typischen Management-Risiko zu tun. Einer Risikoart, die noch nicht die Beachtung findet, die notwendig wäre. Spätestens aber mit der MaRisk-Verpflichtung zur Festlegung und Steuerung der Risiko-Kultur in der Bank deutlich an Bedeutung gewinnt.

Management-Risiken – können sie das noch etwas genauer erklären

Petra
Banker sind i.d.R. stark im „Bewahren“ und in der Optimierung des Bestehenden. Ihr Augenmerk liegt in der Beseitigung von operativen Schwachstellen.

Wolfgang
Banker tun sich i.d.R. schwer im Umgang mit strukturellen Veränderungen. „Erneuern“ setzt eine andere Haltung, ein anderes Selbstverständnis und eine andere Fähigkeit als „Bewahren“ voraus. Wer nicht in den Modus „weiter-so-wie-bisher“ verfallen will muss permanent skeptisch bleiben. Er muss ständig noch Unsichtbares sichtbar machen. Und damit verursacht er ständig Unruhe.

Das Bewusstsein für Risiken, die sich aus der zu späten oder nicht ausreichenden Optimierung des Bestehenden ergeben ist bei Bankern vorhanden, das Bewusstsein für Risiken, die sich aus fehlender Skepsis oder fehlender Unruhe ergeben, ist bescheiden.

Sie unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen Müssen, Sollen und Können – was genau meinen sie damit

Wolfgang
Nach unserer Erfahrung hilft es bei der Risiko-Bewertung im Umgang mit Veränderungen zu unterscheiden, ob eine Bank auf eine Veränderung reagieren muss, ob sie auf eine Veränderung reagieren sollte oder ob sie auf eine Veränderung reagieren könnte. Muss die Bank z.B. aufgrund von neuen gesetzlichen Anforderungen handeln, oder sollte sie aufgrund von neuen Erwartungen der Gesellschaft oder Kunden handeln, oder will das Management z.B. aufgrund persönlicher Werte oder Vorstellungen Veränderungen einleiten. Wie schnell sich Veränderungsnotwendigkeiten von „könnte“ über „sollte“ zu „müssen“ entwickeln können wir wunderbar am Thema „Nachhaltigkeit“ beobachten.

Petra
Dazu ein konkretes Beispiel: Während vor einigen Jahren zum Thema ESG-Risiken „nur“ unverbindliche Empfehlungen der BaFin zu beachten waren, werden die Vorgaben immer verpflichtender: EU-Taxonomieverordnung, EU-Offenlegungsverordnung, MiFid II, EBA-Guidelines und die anstehende 7. MaRisk-Novelle im Jahr 2023 sind hier beispielhaft zu erwähnen.

Die BaFin unterteilt in ihrem Merkblatt Nachhaltigkeitsrisiken in den Bereichen Klima und Umwelt in physische Risiken und Transititonsrisiken. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Empfehlungen der BaFin und EBA-Leitlinien sind verbindliche Normen und damit auch prüfungsrelevant.