Interview W. Pachali & G. Althaus – Die Risikokultur nimmt zu

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden.

Warum gewinnt das Thema Risikokultur – gerade in unübersichtlichen und unplanbaren Zeiten – an Bedeutung?

Althaus
Das bewusste Eingehen von Risiken ist inhärenter Bestandteil eines jeden wirtschaftlichen Handelns und essenziell für die Erzielung von Innovation und Wachstum. Allerdings gibt es viele Beispiele für einen z.B. fahrlässigen Umgang mit Risiken. In jüngster Vergangenheit hat die Bankenaufsicht, die Schaffung einer „angemessenen“ Risikokultur zu einer regulatorischen Anforderung gemacht. Im aktuellen Entwurf des neuen Rundschreibens der Bankenaufsicht wurden diese Anforderungen sogar noch weiter verschärft.

Pachali
Finanzinstitute sollten diese Aufgabe keineswegs nur als (regulatorische) Last betrachten. Das wäre definitiv zu kurz gesprungen. Vielmehr sollten die regulatorischen Anforderungen genutzt werden, die Chancen und Risiken der eigenen Risikokultur zu erkennen und den eigenen Handlungsbedarf zu bestimmen. Denn neben der Steigerung der Wirksamkeit des Risikomanagements bietet die Auseinandersetzung mit der eigenen Risikokultur die Möglichkeit, langfristige Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Worin sehen Sie die Vorteile einer intensiveren Beschäftigung mit dem Thema Risikoappetit und Risiko-Kultur?

Althaus
Die Vorteile sind vielfältig. Im Vordergrund stehen für mich:

Erstens: Die Stärkung der Reputation, der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens nach innen und außen.

Zweitens: Die Sichtbarmachung der Wechselwirkung von z.B. Unternehmensziele, Bereitschaft Risiken einzugehen und Anreizsysteme die Risiken erzeugen. 

Drittens: Die Reduzierung von potenziellen Schäden und die Absicherung von geschaffenen Vermögenswerten.

Wie kann Risikokultur verstanden werden?

Spannende Frage, da seitens der Aufsichtsbehörden bislang keine Legal-Definition existiert. Nach MaRisk AT 3.1. wird unter Risikokultur „allgemein die Art und Weise verstanden, wie Mitarbeiter eines Instituts im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Risiken umgehen (sollen).“ Risikokultur zeigt sich in den täglichen Verhaltensweisen der Führungskräfte und Mitarbeiter eines Unternehmens. Bei einer angemessenen Risikokultur folgt das Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitern dem festgelegten Risikoappetit. Also ist das Unternehmen darauf ausgerichtet nur die Risiken einzugehen, die das Unternehmen eingehen will, um die selbstgesetzten Ziele zu erreichen. Und es geht darum nur Anreizsysteme zu akzeptieren und zu etablieren, die die gesetzten Risikoziele unterstützen.

Wie kann Risikokultur erfasst und gestaltet werden?

Pachali
Die Risikokultur eines Hauses ist i.d.R. historisch gewachsen und tief verwurzelt, ein disruptiver Wandel führt daher selten zum Erfolg. Erfolgversprechender ist eine „Strategie der kleinen Schritte“ und der bewussten Fokussierung auf die Hebelkräfte. 

Führungskräfte und Mitarbeiter müssen zunächst ein gemeinsames Verständnis zu den Themen Risikoappetit, Risiko-, Fehler- und Compliancekultur definieren und eine neue Sensibilität dafür entwickeln. Maßnahmen zur Optimierung der Risikokultur sind meist mit Einstellungs- und Verhaltensänderungen verbunden, die erst dann wirken, wenn sie von allen akzeptiert und angewendet werden.  

Zur Einbindung von Managementrisiken in die Risikosteuerung wird häufig ein systematischer Ansatz gewählt

Althaus
Das sehen wir genauso. Wichtig ist die systematische Erfassung der Risiken und deren Entwicklung (Risikoinventur), die Ableitung eines Gesamtrisikoprofils und die Bewertung der IST-Situation sowie der Ursachen, die zu dieser IST-Situation geführt haben, aber auch die Betrachtung angemessener Gegenmaßnahmen.

Danach folgt die Abwägung: die Einschätzung welche Risiken eingegangen werden müssen, um die gesetzten Ziele zu erreichen und die Bewertung, ob man bereit ist diese Risiken einzugehen. Im dritten Schritt geht es um die Synchronisierung von Risiko-Appetit und Unternehmenszielen. Im letzten Schritt erfolgt die Festlegung des Handlungsbedarfs, z.B. eine Anpassung der Vergütungs- und Anreizstruktur, die Neu-Strukturierung von Entscheidungsgremien, die Überarbeitung von Kompetenzprofilen oder die Regelung des Umgangs mit Fehlern oder Beschwerden.

Am schwierigsten erscheint die Bestimmung der Ausgangssituation – wie gehen sie dabei vor?

Pachali
Für eine erste Positionsbestimmung reichen wenige Frage aus:

Fragen wie z.B.

Verfügt und verfolgt Ihr Unternehmen eindeutige und verständliche Unternehmenswerte? Sind diese in Verhaltens-Leitlinien übersetzt worden? Wie überprüfen sie die Einhaltung dieser Leitlinien?

Hat das Unternehmen klare Ziele und Verhaltensregeln im Hinblick auf Risiko-Appetit und Risiko-Kultur festgelegt? Wie wurden diese veröffentlicht?

Wurden in Ihrem Unternehmen alle Führungskräfte und Mitarbeiter mit Basiswissen zum Thema Risikoappetit und Risikokultur geschult und wird die notwendige Sensibilisierung laufend aufgefrischt?

Lebt jede einzelne Führungskraft und jeder einzelne Mitarbeiter auf klare und unmissverständliche Art und Weise die gewollte Unternehmens- & Risikokultur vor? Wie überprüfen Sie das?

Wie wurde in Ihrem Unternehmen sichergestellt, dass in allen Gremien und Meetings und bei z.B. Kundenbeschwerden oder erkannten Fehlern ein offener und kritischer Dialog über risikorelevante Fragen möglich ist? Wie überprüfen Sie das?

Hat Ihr Unternehmen ein regelmäßiges und systematisches Reportingsystem etabliert, das über den Status und Fortschritt des Risikoappetits und der Risikokultur berichtet? Wer bekommt und wer wertet diese Reports aus?

Wie bewerten Sie die Management-Risiken in diesem Zusammenhang?

Althaus
Managementrisiken beschreiben Risikofaktoren (persönliche Eigenschaften, Wertvorstellungen, Denk- und Verhaltensmuster), die von den handelnden Personen im (Top) Management ausgehen und deren strategische Entscheidungen beeinflussen. Die Management-Risiken werden i.d.R. unterschätzt. Sie bleiben weitestgehend unterhalb des Radars von Risikomanagement-Systemen. Wie beeinflussen persönliche Eigenschaften wie z.B. Ehrgeiz oder Perfektionismus, wie beeinflussen z.B. eine einseitige Orientierung an „bewährtem/bekannten“ oder eine einseitige Besetzung des Managements Risiko-Appetit und Risiko-Kultur des Unternehmens.