Interview W. Pachali & J. Mohr – Gefangen im Sandwich

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden.
Neben dem Autor Wolfgang Pachali nimmt heute der EMC hoch 2 Partner Julian Mohr im Interview Stellung.

Gefangen im Sandwich: Sind mittlere Manager unterschätzte Führungskräfte oder eine unproduktive Lehmschicht?

Wolfgang
Die Wertung „Lehmschicht“ stammt vom ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher. Sie macht deutlich, dass den Führungskräften in den mittleren Hierarchiestufen zum Teil ein miserables Image anhaftet.

Zu Unrecht? Verkennen die meisten Firmen den zentralen Stellenwert des mittleren Managements?

Wolfgang
Die Führungskräfte im Middle Management befinden sich in einer Sandwich-Position zwischen den Mitarbeitenden und dem Top-Management. Druck von oben und unten, Anpassungsbedarf nach oben und unten ist die Folge.  

„Mittel-Management“ – bereits der Name impliziert Mittelmäßigkeit. Gefangen in der Sandwich-Position, sehen viele die Hauptaufgabe des Middle-Managements darin Anweisungen von oben nach unten weiterzugeben, wenn möglich größere Veränderungswünsche von unten abzublocken, sowie wann immer möglich Widerstand gegen von oben getroffene Ziele, Strategien oder Maßnahmen in der Belegschaft im Keim zu ersticken.

Julian
Hinzukommt: Das Middle-Management wird verantwortlich gemacht, wenn erfolgversprechende Strategien des Topmanagements nicht richtig umgesetzt werden, sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen und die Bürokratie in Form von Regeln und Arbeitsanweisungen überhandnimmt.

Die Anzahl der Middle-Manager wächst trotz langjähriger Bemühungen im Rahmen von Lean-Management deren Anzahl deutlich zu reduzieren.

Julian
In wissenschaftlichen Studien wird darauf aufmerksam gemacht, dass heute jede 12. Erwerbsperson eine Führungskraft ist. Vor zehn Jahren war es angeblich nur jede 15. Und dies, obwohl die meisten Firmen sich dafür rühmen, ihre Hierarchien aufgrund von Lean-Management-Ansätzen verflacht zu haben. Offensichtlich halten die so hochgelobten Entschlackungsprogramme nicht wirklich, was sie so lautstark versprechen.  

Wolfgang
Entschlackungsprogramm ja. Aber: Es geht nicht ohne das Middle-Management. In den meisten Fällen hat das Middle -Management zu Unrecht einen schlechten Ruf. Vorstände können relevante Entscheidungen nur dann treffen, wenn sie frühzeitig gute Informationen von unten erhalten. Das Middle-Management ist naturgemäß das permanente Sounding-Board der Vorstände.

Gute Informationen von unten? Spricht das sogenannte Wassermelonen-Reporting nicht dagegen?

Julian
Oh ja, in vielen Unternehmen wird nach dem Prinzip „Wassermelone“ von unten nach oben kommuniziert. Wassermelone: Außen grün, innen rot. Das Top-Management hört immer nur, dass alles super läuft, grüne Schale. Selbst, wenn es innen längst tiefrot aussieht. So bleiben Probleme lange unentdeckt.

Da wird auf Zahlen fokussiert, die für Wachstum sprachen und andere Indikatoren weggelassen? Da werden Bedenken und Widerstände verschwiegen oder kleingeredet? Da werden ernstzunehmende Sorgen und Nöte der Mitarbeiter so lange wie möglich verheimlicht.

Wolfgang
Ich bin überzeugt, dass die wenigsten Middle-Manager bewusst täuschen oder Informationen nicht weitergeben. Oft beruht der Wassermelonen-Effekt auf Überoptimismus und Glaubenssätzen wie, „Das holen wir noch auf, das schaffen wir noch bis zum Endtermin, das drehen wir noch bevor es versandet“.

Julian
Ein zweiter Grund ist die Angst vor Fehlern. Auch die jungen Führungskräfte wurden in einer Kultur sozialisiert, in der Fehler bestraft wurden. „Ja, das war mein Fehler“ – die meisten Middle-Manager haben diesen Satz noch nie vom Top-Management gehört.

Welche Rolle spielt das Middle-Management bei der Umsetzung der Strategien des Top-Managements?

Wolfgang
Nach unserer Einschätzung scheitern die meisten Strategien nicht, weil sie etwa schlecht oder fehlerbehaftet sind. Strategien scheitern, weil sie nicht richtig umgesetzt werden. Das mittlere Management, primär verantwortlich für die Umsetzung der vorgegebenen Strategien, trägt damit eine große Verantwortung. Deshalb ist das mittlere Management für einen echten organisatorischen Wandel von entscheidender Bedeutung.

Julian
Nach unseren Beobachtungen erzielen Banken mit einem starken Middle-Management, also Führungskräften, die bei der Entwicklung und Förderung ihrer Mitarbeitenden herausragende Leistungen erbringen, eine höhere Gewinn- und Wettbewerbsfähigkeit. Und ganz wichtig: Eine höhere Entwicklungsfähigkeit. Starke Middle-Manager schaffen es die Arbeit sinnvoller, interessanter und produktiver zu gestalten.

Was könnten die Ursachen dafür sein, dass die Arbeit des Middle-Managements nach der Zeit des Lean-Managements stärker geschätzt wird?

Julian
Ein Grund für das verstärkte Interesse liegt sicherlich in der Corona-Krise: Es war schließlich das mittlere Management, das den Übergang der Belegschaft ins Home-Office koordinieren und sie auf digitale Arbeitsformen und Kommunikationskanäle einschwören musste. Die erfolgreiche Nutzung neuer innovativer Formate zur Aufrechterhaltung von Nähe zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter hat sicherlich dem mittleren Management zu mehr Ansehen verholfen.

Wolfgang
Doch um einen grundlegenden Wandel handelt es sich nicht.  Die Bereichsleiter*innen und Teamleiter*innen werden sich auch in Zukunft zwischen den Hierarchieebenen gefangen sehen, werden auch zukünftig häufig zum Sündenbock gestempelt und vom Top-Management unter Druck gesetzt werden.

In Studien wird behauptet, dass rund 60 Prozent der Middle-Manager über eine hohe oder sehr hohe Arbeitsbelastung klagen und sich viele im Konflikt mit den eigenen Wertvorstellungen sehen?

Julian
Auch ich höre immer öfter, dass gerade junge Middle-Manager im beruflichen Kontext häufig gegen ihre moralischen Wertvorstellungen (z.B. Nachhaltigkeit, Diversität, Risikoappetit) handeln mussten. Um die Vorgaben des Top-Management zu erfüllen, belastet das Middle Management beispielsweise seine Mitarbeiter mit Aufgaben, die deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen und damit weit über das übliche Arbeitspensum hinausgehen.

Wolfgang
Auch wird häufig von eingeforderten Regelverstößen als große Herausforderung gesprochen. Rollenkonflikte und Leistungsdruck wirken sich bekanntlich auf Dauer auch auf den Gesundheitszustand aus. So zeigen Studien, dass Personen im mittleren Management häufiger an Depressionen und Angstzuständen leiden als Personen an der Spitze oder am unteren Ende der Hierarchiestufen.

Welche Maßnahmen wären zur Aufwertung des mittleren Managements geeignet?

Wolfgang
Eines der größten Probleme ist, dass das mittlere Management i. d. R. nicht auf seine Aufgabe ausreichend vorbereitet wird. Noch immer werden viele Mitarbeitende aufgrund ihrer fachlichen Leistung in eine Führungsposition befördert.

Im Rahmen unserer Evolve-Management Umsetzungen vergrößern wir stets deutlich die Handlungs- und Entscheidungsspielräume des mittleren Managements. So können die Führungskräfte eigenständiger und innovativer tätig werden, was letztlich den Bankvorständen in Form von Entlastung zugutekommt, und dabei noch die Motivation des Middle-Managements fördert. Die Führungskräfte berichten uns i.d.R., dass die erweiterten Handlungskompetenzen, die durch die Sandwich-Position verursachten Rollenkonflikte, nachhaltig spürbar reduzieren.

Julian
Evolve-Management setzt auf klare Aufgaben- und Verantwortungsbereiche.  So wird der Leistungsdruck des mittleren Managements begrenzt. Führungskräfte können ihre Kapazitäten und Ressourcen effizienter einsetzen, und verleiten sie nicht dazu wichtige Aufgaben zu erledigen, die von den eigentlichen dringlichen Kernaufgaben ablenken.