Interview W. Pachali & L. Althaus – Selbstüberschätzung

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden und Geschäftspartnern. Heute dabei ist Luca Althaus, Geschäftsführender Gesellschafter der EMC Evolve-Management-Consult GmbH

Die tragenden Säulen im Evolve-Management-Ansatz sind die Bereitschaft zur Kooperation und zur Kollaboration. Die meisten Führungskräfte sind in der Welt der Einzelkämpfer groß geworden, der persönliche Erfolg bzw. dessen Darstellung war ausschlaggebend für ihre Karriere.
Wie steht die Notwendigkeit der Kooperation und Kollaboration und die Tendenz zur Selbstüberschätzung von erfolgreichen Menschen zueinander?

Luca
Kooperation und Kollaboration werden häufig gleichgesetzt. Doch der Unterschied ist erheblich: Kooperative Arbeit, d.h. jede Person in einem Team ist für einen Teil des Gesamtergebnisses verantwortlich. Die Bearbeitung erfolgt parallel. Die Teilergebnisse werden später zum Gesamtergebnis zusammengefügt.

Kollaboration, d.h. gemeinsames Erschaffen.  Die Teammitglieder interagieren, die Bearbeitung erfolgt sequenziell. Jedes einzelne Teammitglied ist in die Produktion aller Ergebnisse eines Projektes involviert.

Wolfgang
In der Welt der Einzelkämpfer ordnen sich einzelne Personen den Erfolg ganzer Teams zu, obwohl die Leistung – bei genauer Hinsicht – von mehreren Personen erbracht worden ist. Man spart sich die Sichtbarmachung der Einzelleistungen. Und obwohl Vorstände und Führungskräfte heute primär mit komplexen Themen, mit interdisziplinären Problemstellungen beschäftigt sind, ist die Zuordnung des Team-Erfolgs zu einer Person noch weit verbreitet. Die Neigung zur Selbstüberschätzung ist ein klassischer Effekt in der Welt der Einzelkämpfer. Experten sprechen vom sogenannten Dunning-Kruger-Effekt!

Was versteht man unter dem „Dunning-Kruger-Effekt“?

Luca
Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet die Neigung das eigene Wissen und Können zu überschätzen. Diese Neigung beruht auf der unzureichenden Fähigkeit sich selbst objektiv zu beurteilen. Der Begriff geht auf eine Publikation von David Dunning und Justin Kruger im Jahr 1999 zurück.

Warum überschätzen sich Menschen, obwohl sie keine oder nur geringe Expertise in Bereichen haben, in denen sie arbeiten?

Wolfgang
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Beförderung einer Führungskraft in den Vorstand einer Bank. Die Aufgaben verändern sich grundsätzlich, komplett neue Aufgaben kommen hinzu.  Nach einer solchen Beförderung wissen die Personen zumeist, dass sie noch etwas zu lernen haben, was sie vor Selbstüberschätzung schützt. Nachdem sie einige Erfahrungen gesammelt haben, können sie aber sehr anfällig für den Dunning-Kruger-Effekt werden.

Ist diese Neigung zur Selbstüberschätzung bei bestimmten Personen besonders ausgeprägt?

Luca
Unser Alltag ist geprägt von schrägen Selbsteinschätzungen: Tausende Fußball-Fans sind davon überzeugt, sie seien die besseren Nationaltrainer.  Die meisten jungen (männlichen) Autofahrer glauben besser fahren zu können als der Rest der Bevölkerung. Dabei sind sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes das größte Unfallrisiko auf deutschen Straßen.  Expertinnen und Experten sprechen hierbei von einer „Anfängerblase der Selbstüberschätzung“. Ein wenig Erfahrung reicht aus – schon übersteigt das Ego die eigene Leistung.

Hat die Selbstüberschätzung auch eine „positive“ Seite?

Wolfgang
Wir haben i.d.R. ein positives Selbstbild. Und das wollen wir natürlich aufrechterhalten. Ein Nebeneffekt der Selbstüberschätzung ist, dass wir uns auch an Aufgaben trauen, die wir bei realistischer Einschätzung eher nicht annehmen würden. Wenn dann diese Aufgaben – mit etwas Glück oder der Hilfe anderer – zum Erfolg führen, entwickeln wir das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Etwas überspitzt: Wer sich selbst aufwertet, macht sich stark. Auch mit Oberflächenwissen und guter Selbstinszenierung kann man erfolgreich sein.

Vorstände und Führungskräfte, die dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, haben häufiger ein starkes Selbstbewusstsein und sind demnach auch mutiger. Sie treffen schneller Entscheidungen, weil sie sich selbst weniger hinterfragen, und wagen sich womöglich an Aufgaben heran, die andere vielleicht nicht angehen würden.

Luca
Zumindest kurzfristig! Fehler von Führungskräften sind oft erst nach einem längeren Zeitraum erkennbar. Im Zweifel ist der Manager oder die Managerin bereits bei einem anderen Unternehmen tätig, wenn sich die Auswirkungen getroffener Fehlentscheidungen zeigen.

Gilt das auch für negative Ergebnisse?

Luca
Leider ja: wir neigen dazu auch unsere Beiträge zu negativen Ergebnissen überzubewerten.  Ein typisches Beispiel ist die Neigung einen Misserfolg in erster Linie dem eigenen Versagen zuzuschreiben. In diesen Situationen richten wir den Fokus vor allem auf uns selbst, beobachten uns viel genauer als all die anderen, die an diesem Misserfolg beteiligt gewesen waren.

Welche Folgen hat dies auf dem im Evolve-Management-Konzept des „sich-weiterentwickelns“?

Wolfgang
Wenn Vorstände oder Führungskräfte dazu neigen, sich selbst zu überschätzen und zugleich die Kompetenz anderer verkennen, sehen sie auch nicht die Notwendigkeit, „sich weiterzuentwickeln“ und ihre Fähigkeiten und Kompetenz zu steigern.

Was also kann man gegen die eigene Selbstüberschätzung tun?

Luca
Schutz vor der Selbstüberschätzung entsteht aus Selbstreflexion: auf die Schaffung eines Bewusstseins für die in uns angelegte Neigung zur Selbstüberschätzung. Das ist leichter gesagt als getan.

Menschen neigen dazu gemachte Erfahrungen auf neue Aufgaben übertragen. Nehmen wir ein Beispiel: Jemand hat Segeln gelernt und hat sich gut beim Segeln im naheliegenden See zurechtgefunden. Jetzt ist die Gefahr groß, dass er auch glaubt dies im offenen Meer zu können. Dabei funktioniert die neue Aufgabe ganz anders als die alte. Manche erkennen Grenzen erst durch Fehler – etwa, wenn die ersten Wellen ihnen die neuen Aufgaben erlebbar machen.

Wolfgang
Entscheidend ist die Fähigkeit sich selbst regelmäßig zu hinterfragen und zu reflektieren. Die Bereitschaft sich Feedback von Freunden, Vorgesetzten oder Kollegen einzuholen. Wichtig ist hierbei, dass Sie die Kritik ehrlich annehmen und bereit sind, etwas zu verändern. Nur so könnten Führungskräfte etwas dazulernen. Teams sind gefordert sich wechselseitig dabei zu unterstützen.

Ob ein Teammitglied auch alle Kompetenzen mitbringt, die er angibt, ist schwer zu überprüfen. Ob wir daran glauben oder nicht, hängt auch davon ab, wie er sich verkauft. Oftmals werden Teammitglieder hinzugenommen oder befördert, die besonders selbstsicher auftreten.

Inwiefern verhindert Selbstüberschätzung Kooperation und Kollaboration?

Luca
Loben Vorgesetzte überwiegend Blender, trübt das die Stimmung bei denjenigen, die die eigentliche Arbeit leisten. Das ist frustrierend für Mitarbeitende, die ihre Grenzen kennen. Mit Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen, zusammenzuarbeiten, kann auf Dauer anstrengend sein. Deshalb ist es wichtig, ihnen ihr Verhalten zu spiegeln. Aber dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Wolfgang
Für Chefs ist es in der Regel leichter, ihren Mitarbeitern Feedback zu geben, als andersherum. Ehrliches Feedback von unten nach oben braucht häufig Mut und Überwindung. Kooperation und Kollaboration setzt voraus, dass die handelnden Personen auch in diesen Situationen wertschätzend miteinander umgehen, dass sie ehrliches Feedback geben, dass sie bereit sind ehrliches Feedback anzunehmen.