Interview W. Pachali & P. Förster – Die Rolle der Risikokompetenz

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden und Geschäftspartnern. Heute dabei die Gründerin der Beratungsgesellschaft „Auf Sicht“ (Schulung und Beratung für Aufsichtsrecht in Banken – www.auf-sicht.de)

Entwicklung und Umsetzung von Unternehmenszielen und -strategien in unruhigen Zeiten:
Welche Rolle spielt dabei die Risiko-Kompetenz?
 

Petra
Das Risiko, aber auch die Risikobereitschaft sind stets eine Frage der individuellen Bewertung. Das gleiche Verhalten wird von dem einen Manager als mutig angesehen, von einem anderer nicht. Über die Ängste die mit dem Erreichen/Nicht-Erreichen vorgegebener Ziele verbunden sind wird selten offen gesprochen. In Management-Kreisen ein weitverbreitetes Tabuthema – darüber spricht man(n) nicht.

Wolfgang
Unser Gehirn ist ständig dabei „Risiken“ zu scannen. Das Überleben in der Natur hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet zunächst stets das Negative, das Bedrohliche zu sehen – der Schutz des Lebens hat Vorrang. Sicherheit ist ein fundamentales Grundbedürfnis, deshalb nehmen wir mögliche Risiken zunächst als Bedrohung wahr.

Risiko lässt sich nicht mit einer „Schablone“ vermessen. Es bedarf Mut, Risiken anzuerkennen, um Risiken bewusst einzugehen. Mut ermöglicht Risikobereitschaft. Mut haben, d.h. einen starken Willen haben, heftig nach etwas zu streben.

Wolfgang
Auf die Gefahren der Natur haben wir gelernt mit Kampf, Flucht oder „sich-tot-stellen“ zu reagieren. Später haben wir weitere Sicherheitsstrategien entwickelt, z.B. das Streben nach Perfektion. Die alten, wie die neuen Sicherheitsstrategien haben eines gemeinsam: sie engen den Blick, z.B. auf potenzielle Lösungen, auf alternative Wege zum Ziel, ein.

Gibt es Charaktermerkmale, die Risikofreude bzw. Risikoablehnung begünstigen?

Wolfgang
Aus der wissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass zum Beispiel optimistische Menschen eher bereit sind Risiken einzugehen. Optimisten richten ihren Blick eher auf den Gewinn und weniger auf den möglichen Schaden. Pessimistisch veranlagte Menschen dagegen neigen eher dazu Risiken zu vermeiden, sie sehen zunächst den drohenden Verlust. Impulsive Menschen gehen i.d.R. eher Risiken ein, da sie nach einer schnellen Belohnung streben. Im Vergleich dazu scheuen bedächtige Menschen eher das Risiko. Auffällig auch: je höher die Gewissenhaftigkeit, desto geringer die Risikobereitschaft.

Petra
Manager sind gefordert sich regelmäßig eine Selbsteinschätzung anhand z.B. der oben genannten Merkmale (u.a. Neigung zu einer pessimistischen, einer gewissenhaften, einer impulsiven Haltung) vorzunehmen. Je besser wir uns selbst einschätzen, desto treffsicherer ist die Wahrnehmung unserer eigenen Risikobereitschaft. Selbstreflexion ist der Schlüssel zu einem besseren Verständnis der eigenen Risikobereitschaft. Eine klare Einschätzung der eigenen Risikobereitschaft hilft dabei festzustellen, ob der Einsatz, der zur Erreichung eines bestimmten Ziels notwendig wäre, zu hoch ist.

Wolfgang
Erlauben wir uns mal einen groben – durchaus vorurteilsbelasteten – Blick auf unsere Ausgangssituation. Der Deutsche steht für Ordnung, Struktur, Konstanz – nicht unbedingt für Risikofreude. Dem klassischen Banker werden Eigenschaften wie verlässlich, vorsichtig, abwägend zugeordnet – nicht unbedingt risikofreudig.

Mehrzahl der deutschen Unternehmen planen eher vorsichtig konservativ. Nachhaltig ambitionierte Ziele zu verfolgen sind eher die Ausnahme. Je geringer das Anspruchsniveau in der Planung, desto weniger Risikobereitschaft ist gefordert bzw. desto geringer ist die Erfahrung im Umgang mit hoher Risikobereitschaft.  

Betrachten wir noch unsere aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgangssituation. Wir befinden uns gerade in „stürmischen Zeiten“, radikaler Wandel steht auf der Tagesordnung, disruptive Veränderungen müssen gemeistert werden. Zur Bewältigung dieser Herausforderung bedarf es einer großen Risikobereitschaft und einer hohen Risikokompetenz der Entscheider.

Was bedeutet risikokompetent zu sein, woran kann das ein Entscheider messen?

Petra
Risikokompetent zu sein, bedeutet weder Risiken zu ignorieren noch sich von ihnen lähmen zu lassen. Risikokompetente Entscheider wägen aktiv und intensiv die Chancen und die Risiken miteinander ab, bilden sich ein begründetes Urteil darüber, ob es sich lohnt den Preis für ein bestimmtes Risiko in Kauf zu nehmen.

Wolfgang
Abwägen setzt Klarheit voraus über die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines potenziellen Schadens. Doch mit einer professionellen Risikoabwägung tun sich viele Entscheider schwer. Nehmen wir nur ein Bespiel: „Wir fürchten Flugzeugabstürze mehr als mit dem Auto schwer zu verunglücken. Doch die Wahrscheinlichkeit mit dem Auto schwer zu verunglücken ist um ein Vielfaches höher.“

Petra
Noch eine Unterscheidung ist sehr wichtig: Wir scheuen weniger das Risiko als vielmehr den drohenden Verlust, der damit verbunden ist. Zum Beispiel den Verlust an Status, Einfluss oder Macht. Risikoabwägung beruht immer auf einer Hypothesenbildung, aus der angstfreien Integration unterschiedlicher Sichtweisen. Ein professioneller Umgang mit der Einschätzung einer Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Ausmaß eines potenziellen Schadens hilft Risiken realistisch einzuschätzen, sie nicht zu verdrängen und sich nicht von den Risikoannahmen überwältigen zu lassen. Professionelles Handeln, d.h. eine kritische Distanz zum ersten Impuls aufzubauen, erste Annahmen einer Wahrscheinlichkeit kritisch zu überprüfen und auf dieser mit Abstand erzeugten Grundlage bewusst zu entscheiden: Welches Risiko sehen wir als realistisch an, welches Risiko bin ich, sind wir bereit einzugehen, um ein bestimmtes Ziel einzugehen.

Mut, Übermut, Demut … sind die Grenzen fließend?

Wolfgang
Demut, Mut, Übermut, Wagemut – das ist mehr als Wortspielerei. Wo fängt Mut an, wo beginnt Übermut – die Grenzen sind fließend und sie sind individuell. Maßgeblich sind die individuellen Werte, die das Denken und Handeln des Entscheiders bestimmen. Es ist stets die persönliche Abwägung zwischen einem befürchteten Risiko und einer erhofften Chance. Fehlt das angemessene Risikobewusstsein handeln wir nicht mutig, sondern übermütig. Wer übermütig handelt, weigert sich Gefahren wahrzunehmen und einzuordnen.

Gehört zur Risiko-Kompetenz auch das Lernen angemessen „mutig“ zu handeln?

Petra
Angemessen „mutig“ zu sein ist erlernbar. Mut kann, wie ein Muskel, trainiert werden. Dazu müssen wir unsere individuellen Mut-Treiber erkennen und erschließen.

Wir werden mutiger, wenn wir wissen, wofür wir ein bestimmtes Risiko eingehen. Mut wächst aus der Festlegung was uns wie wichtig ist. Je wichtiger etwas ist, desto eher sind wir bereit mutig zu handeln.

Wir werden mutiger, wenn wir lernen Risiken bewusster einzuschätzen. Wie risikofreudig oder risikoablehnend wir sind hängt auch davon ab, wie belastbar unsere Risikoeinschätzung ist, wie stark wir von unserer eigenen Risiko-Einschätzung überzeugt sind.

Wolfgang
Wir werden mutiger, wenn wir gelernt haben zu scheitern, ohne uns gleich selbst grundsätzlich in Frage zu stellen. Menschen, die sich nicht so wichtig nehmen, die ergebnisoffen/experimentell auf die Suche nach der besten Lösung gehen – gehen mutiger an Herausforderungen.

Wir werden mutiger, wenn wir den Preis des eigenen Handelns und Nicht-Handelns kennen.  Wenn wir nicht in die Opferrolle gehen, sondern Verantwortung übernehmen. Mut wächst aus der Verinnerlichung, dass jede Entscheidung ihren Preis hat, auch die Entscheidung keine Entscheidung zu treffen.

Petra
Entscheidend ist das Selbstwertgefühl. Das Vertrauen in sich selbst und das Vertrauen in andere. Ganz wichtig dabei: Wer sich vertraut, vertraut auch anderen leichter. Mut setzt voraus, dass wir der Zukunft einen Kredit geben mit der Zuversicht, dass sich unsere Erwartungen erfüllen. Psychologen nennen diese Fähigkeit „Selbstwirksamkeit“, die Fähigkeit sich als Wirkmächtig zu erleben.

Wolfgang
Noch ein letztes Beispiel. Mut wächst mit der Bereitschaft und Fähigkeit „Wiederaufzustehen“ nach einer Niederlage, nach einem Misserfolg. Der Wille wieder aufzustehen hat viel mit der persönlichen Erfahrung „ich habe Niederlagen/Misserfolge/Ängste erfolgreich überwunden“ zu tun. Es existiert offensichtlich eine motivierende Kausalkette: Wenn wir neugierig sind, erforschen wir und gehen Risiken ein. Wenn wir erforschen, entdecken wir bislang Unbekanntes und lernen, dass es sich lohnt Risiken einzugehen. So wächst Risiko-Kompetenz. Betrachten wir auch das Gegenteil: Wenn wir nicht neugierig sind, erforschen wir nicht und gehen keine Risiken ein. Wenn wir nur wenige Risiken im Leben eingehen, wenn wir unsere Kinder und Mitarbeiter* innen zu sehr vor möglichen Risiken bewahren, kann die schützende Risiko-Kompetenz nicht wachsen. Überbehütung erzeugt Risiko-Inkompetenz.