Interview W. Pachali & G. Althaus – Bedürfnisse bei Entwicklungsprojekten

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden und Geschäftspartnern.

Werden die individuellen Bedürfnisse der Menschen bei Entwicklungsprojekten unzureichend berücksichtigt?

Wolfgang: 
Es ist grundsätzlich richtig, dass bei vielen Entwicklungsprojekten die individuellen und kollektiven Bedürfnisse der Menschen im Unternehmen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Doch die tiefverankerten Motive und Werte eines Unternehmens sind die Treiber bzw. Bremser von Entwicklungsprojekten. Ein Vorstand der seine Bank im Sinne von Evolve-Management führen möchte, wird stets die im Unternehmen wirkenden Werte beobachten und analysieren. Nahezu jedes grundlegende Entwicklungsprojekt ist auch „Sinn-Gestaltung“, d.h. es rückt nicht nur das  „Was“ und „Wie“, sondern insbesondere das „Warum“ in den Fokus.  

„Warum“ – heute wird häufig von Purpose gesprochen – braucht jedes Unternehmen einen expliziten Purpose?

Günter: 
„Sinn-Gestaltung“ ist mehr als nur einen Purpose zu formulieren. Wer nur die Benennung eines Purpose betrachtet wird Opfer der Sehnsucht nach simplen Lösungen. Leider ein Trugschluss. Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Formulierung eines Purpose. Bei der Umsetzung geht es um mehr.

Was meinen Sie mit „es geht um mehr“?

Günter: 
Sinn-Gestaltung ist ein Prozess, Sinn-Gestaltung geschieht langsam, unterschiedliche Positionen müssen betrachtet werden. Ein Beispiel: Verstehen meine Mitarbeiter den „Sinn“ des Unternehmens und haben sie das Gefühl, durch ihr berufliches Wirken die Sinn-Erfüllung beeinflussen zu können? Erleben sie bei der täglichen Arbeit eine Übereinstimmung von persönlichen Bedürfnissen mit der kulturellen Grundausrichtung im Unternehmen und dem Verhalten der Verantwortlichen?

Was gilt es noch zu bedenken?

Wolfgang: 
Mitarbeiter suchen/brauchen Orientierung. Sie wollen wissen, wo es für sie „langgeht“. Sie wollen in einem Umfeld agieren, das sie als verlässlich wahrnehmen, wo sie die für sie nötige Ordnung und Klarheit finden.

Was sollte darüberhinaus bei einer umfassenden „Sinn-Gestaltung“ beachtet werden?

Günter: 
Zwei weitere Punkte erscheinen mir sehr wichtig. Erstens Verbundenheit. Fühlt der Mitarbeiter sich in seinem Team angekommen und angenommen? Hat der Mitarbeiter das Gefühl von seinem Team wertgeschätzt zu werden und einen relevanten Beitrag zur Weiterentwicklung des Teams zu leisten? 

Und zweitens: Bedeutsamkeit. Erlebt der Mitarbeiter das, was er im beruflichen Alltag verrichtet, als relevant und nützlich.

Sie verstehen „Sinn-Gestaltung“ sehr umfassend ?

Wolfgang: 
Ja, Sinn-Gestaltung ist mehr als einen Purpose zu formulieren und diesen dann als Leitplanken zu implementieren. Sinn-Gestaltung wirkt nur, wenn gleichzeitig auf mehrere Punkte geachtet wird. Störungen und Widerstände entstehen immer dann, wenn ein oder mehrere Punkte nicht erfüllt sind.  

Hat das Thema „Unternehmens-Kultur“ an Bedeutung gewonnen?

Günter: 
Oh ja, heute wird von einem Manager mehr erwartet als nur wirtschaftliche Performance. Heute hat er Stellung zu beziehen. Nicht nur zur Frage was erreicht wurde, sondern auch wie es erreicht wurde. Die Kultur eines Unternehmens zeigt sich im Denken und Verhalten der handelnden Personen. Daher lassen sich auch relativ leicht typische Unternehmens-Kulturen aus dem Verhalten der Betroffenen ableiten.  

Können Sie die beobachtbaren charakteristischen Merkmale für einige beispielhafte Unternehmens-Kulturen aufzeigen?

Wolfgang: 
Da erleben Sie z.B. ein Unternehmen, das Traditionen und Rituale hochhält, das Wert auf Geborgenheit und Zugehörigkeit legt. Da werden Firmenjubiläen gefeiert, Mitarbeiter für langjährige Tätigkeit im Unternehmen geehrt. Die Mitarbeiter schätzen Harmonie und Integration. Aber sie beobachten auch, z.B. dass das Unternehmen notwendige grundlegende Strukturveränderungen, die Bewährtes und Liebgewonnenes in Frage stellen, so lange wie möglich hinauszögert. 

Oder das Unternehmen, das seinen Mitarbeitern Sicherheit gibt, durch klare Regeln (entweder-oder) und hierarchische Strukturen, in dem großen Wert auf Ordnung, Disziplin und Kontrolle gelegt wird. Die Mitarbeiter würdigen die Klarheit und Berechenbarkeit, erkennen aber auch die andere Seite, z.B. die Überforderung des Unternehmens bei unerwarteten, überraschenden Veränderungen bzw. bei unumgänglichen sowohl-als-auch Lösungen.   

Nehmen wir als drittes Beispiel das Unternehmen, das Leistung, Produktivität und Gewinnorientierung einfordert, das auf Wettbewerb setzt und bereit ist Risiken einzugehen. Einfach, schnell, kundenorientiert – heißt dort die Devise. An den Wänden ist zu lesen: „Wir brauchen Rennpferde statt Ackergäule, wendige Schnellboote statt große Tanker“. Die Mitarbeiter lieben das Bekenntnis zu Performance und vermissen, wenn es z.B. persönlich wird die menschliche Nähe. 

Im Gegensatz dazu das Unternehmen, das auf Kooperation, Dialog und Toleranz setzt, das nach Harmonie und Konsens strebt und Fürsorge als Verpflichtung ansieht. Hier gilt alle Betroffenen sollen gehört, jeder mitgenommen werden – das geht natürlich zu Lasten der Geschwindigkeit. Einzelkämpfer und Menschen, die den konstruktiven Streit suchen, haben es hier schwer. 

Zu guter Letzt das Unternehmen, das auf Individualität, Kreativität und Eigenverantwortung setzt, das die Notwendigkeit von Spaß, Einzigartigkeit und Unabhängigkeit betont. Hier sind „bunte Vögel“ willkommen, Menschen mit Eigensinn und Ecken und Kanten. Kreativsessions in angesagten Locations und hippe Betriebsfeiern werden großgeschrieben. Es wird verändert und weiterentwickelt – auch wenn die letzte Veränderung noch nicht verdaut ist. Und damit sind wir auf der Schattenseite angekommen: Kontinuität, Geduld, fehlende Zeit zum R eifen. 

Abschließend, wie würden Sie die Bedeutung von Sinn-Gestaltung und Unternehmenskultur für nachhaltige Entwicklung zusammenfassen?

Günter:
Eine feinfühlige Sinn-Gestaltung und eine aktive Arbeit an der Unternehmenskultur sind entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens. Vorstand und Aufsichtsrat sollten ihre individuellen und kollektiven Bedürfnisse und Werte reflektieren, um eine sinnstiftende Umgebung für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter zu schaffen. Auf Dauer entscheidend ist das glaubwürdige, weil widerspruchsfreie Verhalten aller Vorgesetzten. Gerade in kritischen Situationen.