Interview W. Pachali – Verhätschelte Mitarbeiter

In unseren Blogbeiträgen veröffentlichen wir Fragen von Workshop-Teilnehmern, Interviews mit Pressevertretern und Gespräche mit Kunden und Geschäftspartnern.

Evolve-Management setzt ein bestimmtes Selbstverständnis bei Führungskräften voraus. Von besonderer Bedeutung sind z.B. Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Hilfe zur Selbsthilfe. Im Gegensatz dazu werden auf den Titelseiten der Management-Zeitschriften ganz andere Themen priorisiert, Themen wie z.B. Führungskräfte verhätscheln Mitarbeiter bzw. Führungskräfte überfordern. Im heutigen Blogbeitrag beleuchten und hinterfragen wir diesen vermeintlichen Widerspruch.

In den Fachmedien wird derzeit intensiv und sehr kontrovers das Thema „Führungskräfte verhätscheln ihre Mitarbeiter“ diskutiert. Wie bewerten Sie diesen Vorwurf?

Wolfgang
Wenn es stimmt, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter verhätscheln, dann sollten sie schnellstmöglich damit aufhören. Wer es mit dem Verwöhnen übertreibt, läuft Gefahr, dass Angestellte sich zurücklehnen und unselbstständiger agieren. Die Verwöhnung führt i.d.R. dazu, dass die Mitarbeiter immer weniger bereit sind, aktiv Verantwortung zu übernehmen. Evolve-Management unterstreicht die Notwendigkeit der Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe als Motor des „sich-weiterentwickelns“.

Das Verhätscheln von Mitarbeitern verhindert den Prozess des „sich-weiterentwickelns“ – verstehe ich das richtig?

Wolfgang
Ihre Frage ist zuspitzend formuliert. Ok, spitzen wir weiter zu. Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter bittet um Unterstützung bei der Ausarbeitung eines Projektes, weil er nicht so recht weiterkommt. Würde jetzt die Führungskraft zu einem verhätschelnden Verhalten tendieren, würde er mitleidsvoll dem Mitarbeiter die Suche nach der Lösung abnehmen. Folge: Der Mitarbeiter lernt nicht über seine Grenzen hinauszugehen. Dabei geht es nicht um „unterlassene Hilfeleistung“ – es geht vielmehr um das Aufrechterhalten einer Situation, in der der Mitarbeiter persönlich wachsen kann.  

Bitte verstehen sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum den Mitarbeiter im „Regen stehen zu lassen“, ihn allein zu lassen mit seinem Problem. Nein! Es geht darum, die Verantwortung beim Mitarbeiter zu belassen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.  

Notwendige Unterstützung, unsinniges Verhätscheln: wie erkennen wir den Übergang?

Wolfgang
Der Übergang ist gleitend. Führungskräfte, die verwöhnen, die keine Wünsche mehr ablehnen, die „konfliktvermeidend“ führen, um jeden Preis „mitfühlend“ und „unterstützend“ rüberkommen wollen – verhätscheln. Es ist die Dosis, die entscheidet. Salz ist ein lebensnotwendiges Nahrungsmittel und bei zu hoher Dosis ein Gift. Genauso ist es mit der Hilfestellung, der aktiven Unterstützung.

Warum neigen Führungskräfte dazu, Mitarbeiter zu verhätscheln?

Wolfgang
Die Motive sind vielfältig: Die einen wollen damit Konflikten aus dem Weg gehen, andere wollen früher gemachte Fehler ausgleichen. Der Appell an Selbstverantwortung ist aus der Mode geraten, gilt als zu „harter“ Führungsstil. Ein „weicher“ Führungsstil sei mitarbeiterorientierter. Evolve-Management nimmt hier eine andere Position ein: Nichts stärkt Mitarbeiter langfristig mehr als der Appell an die Eigenverantwortung und Selbstorganisation. Natürlich begleitet von der Hilfe zur Selbsthilfe. Diese Art der Führung ist anstrengender – aber auf Dauer nützlicher für beide Seiten.

Welche Folgen konnten Sie bei Ihren Beratungsprojekten beobachten?

Wolfgang
Bei Mitarbeitern, die nach dem Prinzip der Selbstverantwortung geführt werden, wächst das Bewusstsein Herausforderungen eigenständig erfolgreich zu meistern. Die Bewältigung von Konflikten durch eigenes Zutun, macht stark. Sie lernen, dass persönliches Wachstum die Überwindung von Grenzen voraussetzt.  

Selbständiges Handeln setzt voraus, dass die Mitarbeiter Verantwortung übernehmen kann, weil ihnen die Verantwortung nicht genommen wird. Das Erreichen von Zielen bzw. die Überwindung von Hindernissen kann dann als persönlicher Erfolg erlebt werden.

Und letztendlich ist Eigenverantwortung ein wirkungsvoller Schutz gegen unrealistische Erwartungen: Der Vorgesetzte, der Retter in jeder Not, der Vorgesetzte, der für alles Verständnis hat, der Vorgesetzte, bei dem man keine ernsten Konsequenzen zu befürchten hat. Ein solches Führungsverhalten ist unprofessionell!

Das klingt sehr hart…

Wolfgang
Mag so gesehen werden, ist es aber nicht. Zumindest nicht langfristig. Übertriebenes Verwöhnen, Verhätscheln macht unselbstständig.

Es ist keine Wertschätzung, wenn man dem anderen die Möglichkeit des persönlichen Wachsens verbaut, wenn man ihnen die Bewältigung von Herausforderungen nicht zutraut. Wenn man es dem Mitarbeiter unmöglich macht, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Zur Hilfe zur Selbsthilfe gehört auch die Beobachtung, ob ein Mitarbeiter sich ab einem bestimmten Punkt selbst überfordert.

Wie kann Mitarbeiterführung funktionieren, ohne zu verhätscheln?

Wolfgang
Das Führungsverständnis der „alten“ Arbeitswelt war von Autorität geprägt. Es folgte die extreme Umkehr: Mitarbeiter werden verhätschelt. Diese Umkehr können Sie wunderbar auch in der Eltern-Kind-Beziehung beobachten. Auf autoritär folgte Laissez-faire.

Professionelle Führung pendelt sich in der Mitte ein. Sie stärkt das Selbstbewusstsein von Mitarbeitern, lässt Zuversicht und Zutrauen bei ihnen wachsen. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter an Leistungsgrenzen heranführen, die ihnen helfen Kräfte zu entwickeln, die sich ihre Mitarbeiter zunächst nicht zugetraut haben.

Selbstverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe als Booster für die Performance

Wolfgang
Ein Unternehmen kann sich nur „weiterentwickeln“, wenn die Mitarbeiter sich „weiterentwickeln“. Weiterentwickeln, d.h. die Eigenverantwortung jeder einzelnen handelnden Person im Unternehmen zu stärken. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter nicht wachsen lassen, nicht über sich hinauswachsen lassen, nehmen ihre Aufgabe nicht ernst.

Sie sprechen das Thema „gesunde Balance“ an. Neben dem Trend zum „betüdeln und verhätscheln“ beobachten wir auch den Trend zur übermäßigen Härte – wie sehen sie diesen Trend?

Wolfgang
Oh ja, wir beobachten immer wieder Führungskräfte die ihren Mitarbeitern gegenüber ignorant, unfreundlich und überheblich auftreten. Führungskräfte, die schnell reizbar sind, die Schuld stets bei den anderen suchen und finden. Führungskräfte, die Druck machen und unrealistische Ziele festlegen. Führungskräfte, die keine Zeit finden für das Gespräch mit ihren Mitarbeitern und im Gegensatz dazu jede Menge Zeit finden, um auf ihren Social-Media-Kanälen über ihr Führungsverhalten und ihre Führungserfolge zu berichten.

Jetzt spitzen Sie aber zu – ist das notwendig?

Wolfgang
Ich spitze zu, weil diese Führungskräfte, keine Selbstverantwortung an den Tag legen. Verhalten von oben färbt bekanntlich nach unten ab. Wer nicht vorgelebt bekommt, was Selbstverantwortung bedeutet wird die Aufforderung selbstverantwortlich zu handeln nicht gerade als überzeugend empfinden. Wer Selbstverantwortung, Eigeninitiative einfordert, sollte konsequent eigenverantwortlich handeln, um glaubhaft und überzeugend zu wirken.    

Wirklich gute Führungskräfte achten auf die Balance und setzen auf Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe?

Wolfgang
Sie tun es, weil sie wollen, dass ihre Mitarbeiter sich „weiterentwickeln“ und wachsen können. Wachsen durch das Erleben „ich habe das geschafft, ich habe nicht aufgegeben, ich habe mich von Hindernissen nicht aufhalten lassen“. Erfolgreiche Führungskräfte inspirieren durch die Hilfe zur Selbsthilfe. Ihre Mitarbeiter folgen ihnen, weil sie ihnen vertrauen.

Das klingt jetzt sehr banal…

Wolfgang
Es wird viel geschrieben über erfolgreiche Führungskonzepte und innovative, hierarchiefreie Organisationsstrukturen – und wie wichtig und gleichsam mühsam es ist, sich als Führungskraft zu wandeln. Es bleibt die Frage: Wandeln wohin!

Führungskräfte sollten sich öfters die Frage stellen „wozu führt das, was ich tue?“. Führt es zu mehr Eigenverantwortung, zu mehr Selbstorganisation. Macht mein Verhalten zuversichtlicher und selbständiger? Baue ich das Zutrauen meiner Mitarbeiter aus, entwickeln Sie Freude und Spaß daran sich „weiterzuentwickeln“ und über sich hinauszuwachsen? Banal?